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Ostseekooperation in der Krise?
Und was bekommen die interessierten Bürgerinnen und Bürger momentan im Ostseeraum geboten? Seit Juli 2011 steht die Arbeit im Ostseerat unter deutscher Präsidentschaft. Aber ebenfalls bereits seit ein paar Monaten amtiert der deutsche Außenminister nur noch auf Abruf: seine Partei stürzte bei mehreren Landtagswahlen in Deutschland weit unter die 5%-Hürde, auch der FDP-Parteichef heißt inzwischen nicht mehr Westerwelle, und mehrere FDP-Minister der Regierung Merkel wurden inzwischen ausgewechselt. "Guido wird nur noch ertragen, weil er so viel im Ausland ist wo ihn niemand mehr sehen muss" - dieser Spruch ist längst kein leise gesprochener Witz mehr.
Aber davon abgesehen: was gibt es Neues im Bereich der Zivilgesellschaft im Ostseeraum, also den gern mit dem Sammelbegriff "NGOs" bezeichneten Strukturen? Seit die litauische Präsidentschaft Anfang 2010 das NGO-Ostseenetzwerk beerdigen half, haben keine gemeinsamen Veranstaltungen der NGOs aller Ostseeanrainerstaaten mehr stattgefunden. Das deutsche Außenministerium scheint es wenig zu stören, schließlich wechselten die für die Kontakte zu den NGOs Zuständigen überaus häufig; wer Karriere machen wollte ging woanders hin, und auch wenn Zuständige sich monatelang krank meldeten fiel den übrigen für Nordeuropa zuständigen deutschen Beamten offenbar kein Informations- oder Aktionsdefizit auf. Anfang des Jahres 2011 überraschte die norwegische Präsidentschaft mit der Meldung, eine kleine Gruppe norwegischer NGOs habe die Durchführung eines Ostsee-NGO-Forums beantragt, die Finanzierung sei bewilligt worden, aber die Initiatoren hätten ihren eigenen Plan dann plötzlich wieder aufgegeben. Und plötzlich entfalten sich hektische Aktivitäten im Hintergrund: sollte Deutschland, unter dessen Ratspräsidentschaft 2001 die Idee der NGO FOREN geboren wurde, nicht einmal in der Lage sein irgendeine Aktivität zum Thema "Zivilgesellschaft" auf die Beine zu stellen?
Gesicht wahren - Gesicht zeigen
Ein beliebtes "Geheimrezept" wurde bemüht, das auch funktioniert wenn der Dialog mit zivilgesellschaftlichen Organisation von Amts wegen gar nicht gewollt ist: Geld. Das wird immer gern genommen, und in Zeiten der vergehenden und neu auftauchenden Krisen stehen diejenigen gern an den Geldausgabestellen Schlange, deren Wohlwollen mit Finanzen zu kaufen ist.Maßnahme 1: Schmieren an den richtigen Stellen
Vom 24.-26.Oktober 2011 werden sich in Gdansk/Danzig wichtige Repräsentanten von Regierungen der Ostseeanrainerstaaten und der Wirtschaft unter der Überschrift "neue Ambitionen für den Ostseeraum" treffen. Laut Lexikon sind Ambitionen "ergeizige Zielsetzungen" - jedoch bei genauerem Hinsehen sind die Absichten zumindest für den Bereich Zivilgesellschaft keineswegs ehrgeizig. Statt dessen wird aber großzügig Geld bereit gestellt: obwohl ein Dialog mit im Ostseeraum aktiven deutschen NGOs schon lange nicht mehr existiert, gibt das Auswärtige Amt mehrere Zehntausend Euro nur dafür aus, dass in Danzig sich vorzeigbare Figuren dafür hergeben, "Zivilgesellschaft" zu repräsentieren. Dafür werden extra mit Hilfe des Ostseerats-Sekretariats die Reste des seit zwei Jahren bankrotten Ex-NGO-Ostseenetzwerks zusammengekehrt und in gute Anzüge gesteckt: seht her, auch die deutsche Präsidentschaft ehrt die Zivilgesellschaft!
Der Gipfel der Scheinheiligkeit: NGO-Kooperation ohne NGOs
Wer bei diesem schönen Treiben nicht mitmacht, hat offenbar keine Chance. Im Gegenteil: mit der Behauptung, die Strukturen der Ostseekooperation von Nichtregierungsorganisationen müssten "restauriert" werden, werden noch einmal 150.000 Euro bereit gestellt.Wofür? Nein, nicht um die Arbeits- und Kooperationsmöglichkeiten der von Bürgerinnen und Bürgern initiierten Initiativen zu verbessern. Vielmehr wird eine Wissenschaftlergruppe der Humboldt-Universität Berlin beauftragt, auf die Schnelle (also noch während der deutschen Ostseeratspräsidentschaft) etwas einem NGO FORUM Ähnliches aus dem Hut zu zaubern - wiederum ohne auch nur eine einzige NGO direkt zu beteiligen. Termin und Themen werden vorgegeben und müssen akzeptiert werden.
Wer sich über solche Vorgehensweisen (man könnte es auch Ignoranz nennen) wundert, der erkundige sich bitte selbst: Anna-Lena Pohl, Forschungsgruppe Nordeuropäische Politik e.V., Telefon 030-41990890 / 0176-20081031, Email
Aber was soll's: auch beim Thema "EU Ostseestrategie" ist es nicht viel anders. Ein Kapitel "Zivilgesellschaft" sucht man in dieser Strategie vergebens. Jegliche Behauptungen der Einbeziehung von NGOs in Maßnahmen der EU-Ostseestrategie stellen also reine "Gnadenakte" derjenigen dar, die berechtigt sind Förderanträge zu stellen und sich mit den Ministerialbeamten auf Du und Du zu treffen. Und damit kommen wir zurück zum deutschen Außenminister. Schon Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen: ein Einlassen auf eine Zusammenarbeit mit jemand, der bald nicht mehr im Amt sein wird, kann ja wohl nicht viel mehr als ein Spaziergang mit einer lahmen Ente sein.
Materialien: Arbeitsprogramm der deutschen Ostseeratspräsidentschaft
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