5. Juli 2012

Verschärfung des NGO-Gesetzes in Russland

 DRA gegen Diffamierung russischer NGOs als „ausländische Agenten“

Der Deutsch-Russische Austausch protestiert gegen die erneute Drangsalierung der Zivilgesellschaft in Russland und ruft die russische Regierung dringend dazu auf, auf die geplanten Änderungen im föderalen Gesetz über Nichtkommerzielle Organisationen zu verzichten. Ein Gesetzentwurf der Regierungspartei Edinaja Rossija zielt unmissverständlich darauf, die Aktivitäten vom Staat unabhängiger und kritischer NGOs weiter zu erschweren und sie in der Gesellschaft in Verruf zu
bringen. Das Gesetz soll schon bis zum 18. Juli von beiden Parlamentskammern verabschiedet und kurz darauf von Präsident Putin unterzeichnet werden.

Vorgesehen ist ein Sonderregister für alle Non-Profit-Organisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten – egal ob von staatlichen Förderern, Stiftungen, Firmen oder privaten Spendern – und die zugleich „politisch tätig“ sind. Als politisch gilt dabei jegliche Aktivität, die Einfluss auf die öffentliche Meinung oder das Verhalten staatlicher Stellen nehmen will. Das geplante Gesetz diffamiert solche
Organisationen als „ausländische Agenten“ und verpflichtet diese sie, diese Bezeichnung in Publikationen und auf ihren Websites anzuführen. Zudem sollen sie vierteljährlich Finanzeinsicht gewähren und jährliche Audits durchlaufen müssen. Verstöße können mit mehrjähriger Haft und Geldstrafen bis 25.000 Euro geahndet werden.
Der Gesetzentwurf richtet sich nach Auskunft der Verfasser ausdrücklich gegen NGOs wie die bekannte Wahlbeobachtungsorganisation „Golos“ und die Antikorruptions-Organisation „Transparency International“. Als angebliche „ausländische Agenten“ stünden dann auch z.B. die Moskauer Helsinki-Gruppe, die meisten anderen Menschenrechts-NGOs und „etwa 70% aller Umweltorganisationen“ da – alle, die sich nicht „mit Kaninchenzucht oder dem Schutz seltener Arten“ befassen, bekannte ein Kreml-Vertreter gegenüber russischen Medien. Laut Entwurf könnte das Register aber auch viele andere Vereine, Bildungseinrichtungen, soziale Stiftungen und sonstige
Non-Profit-Strukturen bis hin zur Orthodoxen Kirche betreffen. Seine Definitionen sind weit genug gefasst, um jede gewünschte Willkür gegen Einzelne zu ermöglichen.
Der Text und die Hast, mit der er durchgesetzt wird, legen erneut den repressiven Charakter der Regierung unter Vladimir Putin offen. Nach der drastischen Verschärfung des Demonstrationsrechts im Juni ist dies der nächste Schritt, um jene veränderungswilligen Bewohner Russlands zu strafen und zu marginalisieren, die die Bürgerproteste nach den Duma-Wahlen mitgetragen haben und die für eine pluralistische, offene Gesellschaft eintreten. Es passt nicht in Putins Weltbild, dass sich Menschen aus Russland für ideelle und zugleich (auch von Russland) völkerrechtlich verankerte Werte einsetzen. Ihnen internationale Unterstützung vorzuwerfen, ist mindestens so lange doppelzüngig, wie ein solches Engagement innerhalb des Landes kaum Förderer findet, weil auch diese Förderer in Konflikt mit dem monopolistischen Staatsapparat geraten. Die Trennung von „gutem“ sozialem und „schlechtem“ gesellschaftspolitischem Engagement, die die russische Führung
zugrunde legt, ist widersinnig: Denn erst die Verbindung von beidem macht Bürgerorganisationen zu einem Motor für eine Vervollkommnung der Gesellschaft – sei es hinsichtlich der Lebensumstände Behinderter, des Schutzes von Wäldern und Flüssen, der Bildungsgerechtigkeit oder fairer, rechtsstaatlicher Wahlen.
Kritik innerhalb der Gesellschaft ist normal und nützlich, und die Fähigkeit, mit solchen Stimmen einen konstruktiven Dialog zu führen und ihre Kompetenz und ihren Gestaltungswillen zugunsten der Entwicklung des Landes nutzbar zu machen, ist ein Zeichen für die Stärke von politischen Systemen, für die Integration und Teilhabe ihrer Bürger.

Die Autoren des Gesetzentwurfes betonen, dass sie keinerlei Verbote, auch nicht von ausländischer Finanzierung, erlassen. Sie nutzen subtilere Mittel der Verfolgung: Verdrängung, Bürokratisierung, Diskreditierung. Die russische Führung erhöht damit einmal mehr den Emigrationsdruck für gebildete, kreative, aktive Bürger ihres Landes und verstärkt isolationistische, paranoide Entwicklungskonzepte. So unterminiert sie die europäische und internationale Zusammenarbeit in dem breiten Feld der Zivilgesellschaft und behindert das eigene Land auf dem Weg einer
Modernisierung.
Der DRA ruft die deutsche und europäische Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft dazu auf, sich öffentlich mit den NGOs in Russland solidarisch zu zeigen und ihr Gewicht in den Beziehungen zu Russland geltend zu machen, um für einen Verzicht auf die geplanten Neuregelungen einzutreten.
Berlin, den 5.7.2012

Erklärung des Deutsch-Russischen Austausch e.V. (DRA) anlässlich der geplanten Verschärfung des NGO-Gesetzes in Russland

Kontakt:
Deutsch-Russischer Austausch e.V., Badstr. 44, 13357 Berlin. Tel. 030-4466 80-0, Email >info@austausch.org< 
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