15. August 2007

Ostseerat: Prioritäten der lettischen Präsidentschaft

Seit dem 1.Juli 2007 übernahm Lettland für ein Jahr die Präsidentschaft im Ostseerat (Council of Baltic Sea States - CBSS). Dabei ist es üblich, dass jede Präsidentschaft inhaltliche Schwerpunkte festsetzt. Lettland hat bisher drei Hauptthemen für die anstehenden Aktivitäten genannt: Bildung & Ausbildung, Energie, und zivile Sicherheit.

Bildung und Weiterbildung
Hebung der Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Ausbildungseinrichtungen auf europäisches und globales Niveau - so steht es auf der Agenda Lettlands.
Die gegenseitige Anerkennung von bildungspolitischen Ergebnissen einzelner Länder soll dabei einer der zu erreichenden Punkte sein. Allerdings bleibt das lettische Thesenpapier an dieser Stelle noch sehr allgemein, was denn diese "Ergebnisse" (Errungenschaften) sein sollen.
Leichter verständlich scheint es da, wenn die elektronische Vernetzung der Universitäten eingefordert wird. Zusätzliches Geld hat eine Einrichtung wie der Ostseerat sowieso nicht zur Verfügung - leichter scheint es da, dort etwas zu fordern, wo die Finanzierungswege sowieso klar sind. Da werden "Innovations-Parks" für neue Ideen gefordert, Weiterbildung zum Thema nachhaltige Entwicklung bis hin zur sogenannten "nachhaltigem Konsum" - freundlich zur Umwelt, und anhaltend fördernd für die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche?
Auch das Thema Erwachsenenbildung erscheint vielleicht einfacher, als es seine Positionierung auf der Prioritätenliste ahnen läßt: zu verschieden sind ja die Modelle von Bildung und
Weiterbildung in den einzelnen Ostseeanrainerstaaten.
Auch Maßnahmen und Arbeitsmittel werden für diesen Bereich genannt, hier gibt es aber keine Überraschungen: Arbeitsgruppen von Expert/innen & Ministertreffen gibt es auch anderswo zu Genüge.

Energie
Hier versammeln sich vielleicht die heißesten Themen. Immerhin gilt das russisch-deutsche Projekt einer Gaspipeline durch die Ostsee nicht gerade als geeignet, sich neue Freunde an der Ostsee zu schaffen, und die Explosion der Energiepreise erzeugt in vielen Ländern großen Ärger. Zudem stellt gerade Lettland mit Andris Piebalgs in der Europäischen Kommission den
Kommissar für Energiefragen. Aus den baltischen Staaten war in der jüngsten Vergangenheit vermehrt der Ruf nach einer Koordinierung der EU-Energiepolitik zu vermehmen, und vielleicht meinte man so eine breitere Zustimmung zum teuren und nicht unumstrittenen Vorhaben des Baues eines neuen Atomkraftwerks zu bekommen.
Die Ostseerats-Präsidentschaft gibt sich aber gerade in Energiefragen auffällig zurückhaltend. Ist hier die "Realität des Machbaren" zu spüren? Die Infrastruktur zur Engergieversorgung will man stärken, Erfahrungen bei der Förderung von erneuerbarer Energie austauschen, und eine einheitliche Position der Ostseestaaten in rechtlichen Fragen will man erreichen. Das war's.

Zivile Sicherheit

Dieser Bereich, der Englisch "Civil Security" heißt und Deutsch immer etwas unbeholfen daherkommt, meint eigentlich die Bereiche Menschenrechte, soziale Sicherheit und nachhaltige Entwicklung. Einerseits könnte es als Absicherung des Wohlstands und der Wirtschaft bezeichnet werden, andererseits sind eben wichtige Bürgerrechte gemeint. Hier existieren im Bereich des Ostseerats die meisten Arbeitsgruppen: eine Expertengruppe zur maritimen Sicherheit, eine Task Force gegen Menschenhandel und eine weitere gegen organisierte Kriminalität, eine Arbeitsgruppe zum Schutz der Rechte von Kindern, eine weitere zu sogenannten "demokratischen Institutionen", ein jährliches Treffen von Staatsanwälten und eines von Abteilungsleitern zum Thema Zivile Sicherheit, eine Arbeitsgruppe zu nuklearer Sicherheit und Strahlenschutz, und die Baltic 21 zur Diskussion von Maßnahmen zur nachhaltigen Entwicklung.
Was kann da in den nächsten Monaten konkret erreicht werden, außer das alle diese Kommissionen weiter arbeiten? Das, was Lettland an Prioritäten formuliert, klingt zunächst mal einfach nach "mehr Kooperation wagen". Im übrigen soll die Schiffssicherheit weiter verbessert und die Korruption stärker bekämpft werden.

Erwartungen
Jährlich trifft sich der Ostseerat zum sogenannten "Ostseegipfel". Doch wer interessiert sich für die Ergebnisse, wer beobachtet die Aktivitäten, wer fordert Effektivität der beschlossenen Maßnahmen ein? 2007 fiel das Ereignis mitten in den Hype um den globalen Weltgipfel in Heiligendamm.
Die meisten Ostseeanrainer - bis auf Norwegen und Rußland - konzentrieren sind inzwischen auf ihre erweiterten Möglichkeiten als Mitglieder der Europäischen Union. Da wird die Ostseekooperation - obwohl direkt vor der Haustür gelegen - psychologisch schon mal zum Randmeer.
Auch Deutschland entwickelt kein starkes Interesse an der Ostseeregion: nicht einmal die norddeutschen Bundesländer vermögen das in Berlin zu erreichen, eine Koordination in Ostseefragen gibt es nicht. Zwar dürfen Politikerinnen und Politiker einmal pro Jahr zum "Rat der Ostseeparlamentarier" fahren (auch mehr so eine "Kennenlern-Veranstaltung", als ein Instrument zur Umsetzung innovativer Ideen). Dieses Jahr Ende August findet dieses Ereignis mit dem Kürzel BSPC gar im hauptstädtischen Berlin statt - mal sehen, wieviele deutsche Medien es überhaupt bemerken. Anläßlich der lettischen Ostseeratspräsidentschaft haben sich eine ganze Reihe lettischer Gäste in Berlin angesagt. Deutsche Ziele für die Ostseekooperation: Fehlanzeige.

Schlußfolgerung: Ostseekooperation ist ..... wenn sie stattfindet. Der deutschen Politik scheint es zu genügen, wenn zwei bis drei wissenschaftliche Institute still und leise die Szene beobachten (Berlin, Kiel, Greifswald). Dabei könnte doch die regionale Nähe zum Beispiel dazu genutzt werden, Menschen, Kulturen, Traditionen und Lebensarten mehr miteinander bekannt zu machen! Doch solch ein Ansinnen scheint nach der EU-Erweiterung von 2004 wie weggeblasen: regierten noch bis dahin die Vorurteile und Vorbehalte, so tuen die EU-Mitglieder in Ost und West inzwischen so, als ob man sich bereits jahrzehntelang kennen würde. Amtsträger mit gleichen Rechten, junge aufstrebende Ökonomen mit gleichen Marktchancen = Ziel erreicht?
Ich meine, Ostseekooperation könnte mehr sein als die Selbstgefälligkeit gut verdienender Wirtschaftskonzerne und mittelmäßiger Politiker/innen. Die Zivilgesellschaft fördern, dass hieße Bürgersinn entwicklen, Menschen Aktivitäten anbieten, kulturelle Events mit Teilnahmechance für alle bieten, Gleichgesinnte zusammenbringen. Auch hier gilt es zu "investieren": die Menschen mit ihrem Engagement und ihrer Ungeduld, die Verantwortlichen mit Umsicht und Sensibilität für unterschiedliche Interessenlagen. Lettische Präsidentschaft im Ostseerat: hoffen wir auf neue Ideen!

Lettische Ostseeratspräsidentschaft: Kalender der Aktivitäten und Termine (lettisch)

Prioritäten der lettischen Ostseeratspräsidentschaft (englisch)

Der Ostseerat (Council of Baltic Sea States - engl.)

Kalender der Aktivitäten rund um den Ostseerat (engl.)

Ostseekooperation der Nichtregierungsorganisationen

Portal "Baltic Sea Region" (engl.)

Der Deutsche Bundestag zur Konferenz der Ostseeparlamentarier 27/28.August 2007 in Berlin