26. Oktober 2009

Wen interessiert noch die EU-Ostseestrategie?

Erste Hilfe oder letzte Rettung? 
Unter diesem Motto lud die Europäische Akademie Berlin (EAB) vom 20.-22.Oktober 2009 zu einem Seminar ein. Ist dies eine Fragestellung, die Ostseefreundinnen und -freunde ebenso stellen? Oder ist das Motto der öffentlichen Veranstaltung am 20.10. in der Euopäischen Akademie treffender, die schlicht von "Kaisers neuen Kleidern" sprach?

Nun, wer ist hier der "Kaiser"? Entweder könnte die EU gemeint sein - mit ihrer für manche als schier unzugänglich erscheinenden Bürokratie. Oder es sind die nationalen Regierungen - die sich ein "Argumentationsmäntelchen" scheinbarer Aktivität umhängen.

Die Ostseestrategie der Europäischen Union bezeichnet die erste regionale Strategie der EU, die während der laufenden EU-Präsidentschaft Schwedens beschlossen werden wird. Mit ihr sollen "Probleme der Ostseeregion identifiziert und in konzertierter Aktion gelöst werden" (so formuliert es Dr. Carsten Schymik von der Stiftung für Wissenschaft und Politik SWP, der an der Diskussion in der EAB teilnahm).
Aber sind es denn so neue Erkenntnisse, wenn wieder einmal die Probleme zunehmender Verkehrsströme, die überregionalen Umweltfragen, die zivile Sicherheit und dann noch - natürlich - die Förderung der Wirtschaft als besonders dringlich benannt werden? Keines dieser Themen taucht ja nur in der Ostsee auf, im Gegenteil: wovon die ganze Welt redet, lohnt es sich, dies in der Ostsee regional begrenzt zu wiederholen?

Global denken, lokal handeln, so hieß es einmal. Aber viel wahrscheinlicher scheint mir, dass Ziel dieser neuen "Strategie" weniger die politische Umsetzung, als vielmehr das Zurechtbiegen EU-kompatibler Strukturen sein soll und wird. Nicht umsonst wurde im Zuge der Diskussion um den Strategieentwurf vielfach auch schon die Abschaffung des Ostseerats (Rat der Ostseeanrainerstaaten, gegründet 1992) verkündet - oder zumindest für sehr wahrscheinlich gehalten. Auf der Veranstaltung der EAB in Berlin war davon nun nicht mehr die Rede. Was hat sich geändert?

Alles klar - und nichts verstanden?
Die Beiträge der EAB-Podiumsdiskussion hörten sich allesamt eher so an, als ob alle Ostsee-Interessenten die größte Lust an "altem Wein in neuen Schläuchen" empfinden würden (der wird schließlich mit längerer Lagerung immer besser, wenn er nur unangetastet bleibt!).
"Die Ostseestrategie ist auch eine Übernahme dessen, was die HELCOM (Helsinki Kommission, zwischenstaatliche Kommission zum Schutze der Meeresumwelt im Ostseeraum) als Aktionsprogramm bereits längst beschlossen hat - so Dr. Schymik. Schließlich wurde das sogenannte "Helsinki-Abkommen" bereits 1974 beschlossen, trat 1980 in Kraft, wurde 1992 als neue Konvention gezeichnet, trat dann 2000 endgültig in Kraft und wurde 2003 noch einmal durch die Formulierung von Prioritäten verdeutlicht. Was sollte eine "EU-Ostseestrategie" da schon daran ändern? Zumindest verraten alle Texte von Seiten der EU dies nicht.

Oder ist es vielleicht das besondere Verhältnis zu Russland? Diskussionsteilnehmer Dr. Mart Laanemäe, seines Zeichens Botschafter Estlands in Berlin, wurde in der EAB danach gefragt. Aber was Moderator Prof. Stratenschulte da praktizierte, ist ja weit davon entfernt politische Praxis in Deutschland und in Berlin zu sein - es könnte eine neue "Traumrolle" Estlands sein, nach den Erfahrungen mit Russland gefragt zu werden, wenn deutsche Politiker/innen erst mal nachdenken und zuhören wollen, bevor sie (in "Schröder-Manier") Sondervereinbarungen nur mit Russland treffen und sich selbst noch mit hoch bezahlten Posten bescheren.
Zwei Thesen bezüglich Russland machten die Runde: entweder müsse Russland in die Ostseepolitik in einer Weise einbezogen werden, dass "die Zentrale" (in Moskau) es nicht richtig bemerkt (es nicht allzu ernst nimmt) - auf diese Art und Weise sei schon so manches Abkommen und so manches Projekt im Ostseeraum erfolgreich umgesetzt worden.
Oder - geradezu konträr dazu - Ostseekooperation müsse so betrieben werden, dass in erster Linie gerade Russland mit einbezogen wird, da nur so der Sache politisches Gewicht und Durchsetzungskraft verliehen werden könne.
Diesen "Richtungsstreit" sah Laanemäe aus estnischer Position um eine einiges pragmatischer. "Es ist schon immer schwer gewesen, zu prognostizieren was in Russland passieren wird", so der Este. Das schwang so ein wenig zwischen "in und mit Russland müssen wir immer mit allem rechnen" und "Russlands Strategie ist es, unberechenbar zu sein". Aber es wurde auch nicht ansatzweise deutlich, was die EU-Ostseestrategie hier zu ändern in der Lage wäre.

Und was bringt's uns?
Und die Bürgerinnen und Bürger? Was könnten die von einer geänderten oder gar neu erfundenen EU-Ostseestrategie haben? Nimmt man die Diskussion in der Euopäischen Akademie als Beispiel, ist das ein ziemlich abwegiges Thema.
Für Dr. Rainer Kosmider, seines Zeichens zuständig für europäische und auswärtige Angelegenheiten in der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern, ist das Thema für die Öffentlichkeit offenbar bereits abgearbeitet. "Wir haben im Zuge der Vorbereitung der Ostseestrategie umfangreiche Anhörungen gehabt."
Ja, noch immer wundern sich Menschen, wie schnell das gehen kann mit der "Bürgerbeteiligung". Stimme bei Wahlen abgegeben? Ja, dann handeln die so Gewählten auch in Deinem Sinne! Einspruchs- oder Eingabefrist verpasst? Ja, dann ist in der Folge jedes ordnungsgemäß aufgestellte Projekt automatisch "im Gemeinsinn beschlossen".
Da ändert die deutsche Parteiendemokratie nichts daran: auch der zur Diskussion eingeladene Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin (nicht verwandt oder verschwägert, wie betont wurde, sondern Mitglied von Bündnis 90/ die Grünen) musste zugeben, dass die eigene Fraktion nur äußerst selten über die Ostseeregion diskutiert. Auch mit neuer EU-Strategie wird sich das offenbar kaum ändern.

Was ändert sich also konkret für diejenigen, die sich ganz persönlich für die Ostsee interessieren, vielleicht um ihren Zustand besorgt sind, sich um zwischenstaatliche oder fachliche Kontakte bemühen, oder besorgt sind um das, was die Politiker und Entscheidungsträger im Ostseeraum so zu beschließen geruhen? Offenbar kaum etwas. Erste Hilfe oder letzte Rettung? Die Veranstaltung in der Europäischen Akademie hiniterließ den Eindruck, dass es der Ostsee so gut oder so schlecht gehen mag wie auch immer - für Politiker oder andere Entscheidungsträger selbst scheint weder das eine noch das andere (weder Hilfe noch Rettung) rechtzeitig eingeplant zu sein.
Diejenigen, die schon ein paar Schritte weiter sind und auch ohne EU-Strategie etwas tun wollen, müssen sich wohl weiterhin eher andere Wege suchen.

6. Oktober 2009

Aufklärung der politischen Morde – Für ein rechtsstaatliches Russland!

Gemeinsame Erklärung
russischer und deutscher Nichtregierungsorganisationen zum dritten Jahrestag der Ermordung von Anna Politkowskaja -

Vor drei Jahren, am 7. Oktober 2006, wurde Anna Politkowskaja in Moskau ermordet. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt. Die Freisprüche von mutmaßlichen Mittätern sind aufgehoben und neue Ermittlungen angeordnet worden. Der mutmaßliche Mörder ist auf der Flucht; seine Auftraggeber sind unbekannt.

Heute müssen wir feststellen, dass Anna Politkowskajas Tod nur der Beginn einer neuen Serie von politischen Morden war:

21.11.2007: Attentat auf den Journalisten und Menschenrechtsverteidiger Farid Babajew, der am 23.11.an den Folgen des Attentats verstirbt.

31.08.2008: Der Journalist Magomed Jewlojew wird im Polizeigewahrsam erschossen.

19.01.2009: Auf offener Straße in Moskau werden der Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastasija Baburowa ermordet.

15.07. 2009: Die Menschenrechtlerin Natalja Estemirowa wird erschossen.

11.08.2009: Die Leiterin einer Hilfsorganisation für Kinder und Jugendliche, die in den tschetschenischen Kriegen verletzt wurden, Sarema Sadulajewa und ihr Ehemann werden ermordet.

Diese Aufzählung ist nicht vollständig. Alle Fälle sind weder umfassend aufgeklärt noch geahndet.

Alle Mordopfer hatten eines gemeinsam: Sie haben sich für ein gerechtes und friedliches Gemeinwesen engagiert. Als Journalisten, Anwälte, Menschenrechtlerinnen. Gegen die Interessen der Mächtigen, Gewalt und Willkür. Deswegen haben sie Todesdrohungen erhalten. Alles spricht dafür, dass sie deswegen hingerichtet worden sind. Sie strebten nicht danach, zu Helden zu werden. Ihre Mörder haben sie zu Märtyrern des Kampfes um den Rechtsstaat gemacht.

Wir, die unterzeichnenden Organisationen, versprechen, dass wir nicht aufhören werden, uns für die Werte und Ziele einzusetzen, denen sich die Ermordeten verpflichtet fühlten. Die politischen Morde müssen beendet und die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Dafür werden wir gemeinsam – jeder an seinem Ort – eintreten. Diese Arbeit kennt keine Grenzen. Wir sind Gleichgesonnene und Verbündete in unserer Arbeit für die Menschenrechte. Wir unterstützen einander und treten solidarisch für den Schutz derer ein, die heute Hilfe bedürfen.

Das ist unsere Antwort auf die brutale Gewalt, deren Opfer wir heute beklagen.

Moskau und Berlin, am 6. Oktober 2009


Russische Nichtregierungsorganisationen:
Menschenrechtszentrum Memorial
Internationale Gesellschaft Memorial
Komitee Zivile Unterstützung
Zentrum zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten
Stiftung „Public Verdict“
Zentrum für Information und Analyse „Sowa“
Youth Human Rights Movement
Moskauer Helsinki-Gruppe
Allrussische Bewegung „Für Menschenrechte”

Deutsche Nichtregierungsorganisationen:
Aktion Sühnzeichen Friedensdienste e.V.
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Deutscher Anwaltverein e.V.
Deutsch-Russischer Austausch Berlin e.V., Berlin
Europäischer Austausch gGmbH
Memorial Deutschland e.V.
Reporter ohne Grenzen e.V.
Journalistenverband Berlin-Brandenburg - Landesverband des DJV